Montag, 13. Dezember 2010

The Magnificent Picture Book that is actually a Journal

In den letzten Wochen ist viel passiert. Das hier ist eine Variante, wie man einen Teil von "viel" in einem Beitrag mit möglichst wenigen Worten erledigen kann.

Fangen wir mal an:

Bier. Keller.

Das ist wirklich uralt, das ist noch aus Galway. Da war auf dem Eyre Square ein "deutscher Weihnachtsmarkt" und das hier ist offenbar die irische Vorstellung davon, wie bei den Deutschen ein Bier. Keller. aussieht. Für mich ist das allerdings eher ein Bier. Zelt.


Awesome Street Performers

Das ist auch aus Galway - davon hatte ich schon erzählt. Die besten Straßenmusiker, die es gibt. Sie mussten ihr Publikum immer wieder auffordern, nicht die Eingänge zu den Läden zu versperren, so viele standen um sie herum!


Sligo

Das ist Sligo. Meine Lieblingsstelle, am Fluss. Leider ist Sligo Town zwar klein und fein, aber an sich nicht gerade hübsch. Aber vielleicht liegt das daran, dass es so weit im Norden liegt und sich dort in den letzten Jahrzehnten nicht so viel verändert hat wie im Süden...?


Sligo

Das ist die Kathedrale in Sligo.


Ich hatte ja bemerkt, dass man in Sligo herzlich wenig unternehmen kann, wenn man kein Auto besitzt. An meinem letzten Tag dort bin ich aber mit dem Bus hinaus zu Rosses Point gefahren - dort, wo die Sligo Bay beginnt. Und dort war es wirklich sehr, sehr schön. Während der Hungersnot sind dort die Schiffe der Auswanderer abgefahren, aber davon sieht man heute nichts mehr, da gibt es nur noch einsame Strände, Inseln und eine angenehm warme Novembersonne.

Longing


Pferde


Haus


Die Journalistin


Tafelberg


Sligo

Ich hoffe, dass ich nächstes Jahr den Norden Irlands noch weiter erkunden kann. Vielleicht muss man es nur ein bisschen besser planen.

Mood: Enthralled enthralled

There Were Four Sisters, Side by Side

Ja, es ist seit einer Weile um Seepferd, Fuchs und Toribell ziemlich still gewesen. Das heißt aber nicht, dass sie keine Abenteuer mehr erleben. Hier kommt eins, das bald wieder einen seiner beiden Geburtstage hat. Ich habe mich ziemlich lange darum gedrückt, diesen Artikel zu schreiben. Das liegt nicht daran, dass mir die Begeisterung fehlt – im Gegenteil, ich weiß nicht, wie ich darüber schreiben soll, ohne mich nur an vollkommen uninteressanten Details aufzuhalten. Ich verspreche nicht, dass ich hier mehr als nur wirre Gedanken äußere. Also:

T With the Maggies
A Sort of Review

'T With the Maggies' war am Anfang eigentlich nur ein Zufall. Man hat eine Band für ein größeres Event in Dublin gesucht und weil in der Organisation eine Cousine einer der Sängerinnen saß, hat man spontan Tríona und Maighread Ní Dhomhnaill ('Skara Brae'), Mairéad Ní Mhaonaigh ('Altan') und Moya Brennan ('Clannad') dazu eingeladen. Und diese hatten so viel Spaß zu viert, dass sie seitdem beschlossen haben, öfter zusammenzuarbeiten.
Ich mag diese Dame:

Máire

Máire Brennan. Ein bisschen unscharf, weil es düster war und ich nicht blitzen wollte.

Deswegen (und weil ich gehört hatte, dass die Konzerte der vier gut sind) bin ich nach Waterford gefahren, um sie zu sehen. Und weil ihre Konzerte wirklich gut sind, bin ich in Galway noch mal bei einem gewesen.
Wenn man so wie ich verrückt nach einer der vier ist, fallen einem unheimlich viele Kleinigkeiten auf, über die ich stundenlang schreiben könnte. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie es ist, wenn man als „normaler“ Besucher bei so einem Konzert ist. Allerdings habe ich schon oft bemerkt, dass das Publikum am Anfang aus gestressten, kritischen Menschen besteht, die darauf warten, dass ihnen für ihr Geld etwas geboten wird – und so nach und nach tauen sie alle auf und verlassen den Saal zum Schluss mit einer weitaus fröhlicheren Miene. Das klingt wie billiger Disney-Kitsch, ich weiß, aber es stimmt.
Man merkt, dass sie alle schon seit Ewigkeiten auf Bühnen spielen. Sie sind nicht nur sehr gute Musikerinnen, sie haben auch das typisch irische Talent, ihr Publikum zu begeistern. Sie geben einem das Gefühl, dass sie gerade für dieses Publikum schon immer spielen wollten. Und man kann ihnen ansehen, dass es ihnen selber unheimlich viel Spaß macht, dort zu stehen - nicht zuletzt daran, dass sie ab und zu ein Lied abbrechen müssen, weil sie vor Lachen mit dem falschen Ton angefangen haben.
Das Konzert in Waterford war noch viel improvisierter als das in Galway und wurde deshalb von den Maggies im Laufe des Abends nur noch "the rehersal" genannt. Sie haben sich sehr oft dafür entschuldigt, dass sie so viel lachen und durcheinander reden - dabei ist das viel schöner als die vielen unpersönlichen Konzerte, die man sonst so geboten bekommt.
Da sie eine Mischung aus Trad (traditioneller irischer Musik) und dem, was sie von ihren jeweiligen Bands mitbringen, spielen, ist das Publikum sehr gut durchmischt. Ich gehöre immer zu den jüngsten, die vor dem Konzert vor den Türen warten (denn, seien wir ehrlich, Clannad gibt es seit den Siebzigern, und da waren meine Eltern kleine Kinder), aber das macht gar nichts, bei meinem ersten Máire-Konzert 2007 habe ich mich hinterher mit einem Mann Ende vierzig unterhalten, der genauso begeistert war und mir erzählt hat, dass er für sie für einen Abend aus Erfurt nach Dresden gekommen ist. Bei den Maggies-Konzerten ist das ähnlich.
Nach dem Konzert bleiben diese vier Ladies meistens noch da bleiben, um die CDs zu signieren (wir Máire-Anhänger sind das schon gewöhnt) und sind auch da ausgesprochen nett und freundlich. Das ist immer wieder überwältigend. In Waterford habe ich zwei andere Deutsche getroffen, dank derer ich für eine Stunde zum engeren VIP-Zirkel gehört habe (um die Fotos muss ich mich allerdings erst noch kümmern). Nach dem Konzert in Galway gab es eigentlich keine Autogramme, aber als ich mit meiner CD zu Máire gekommen bin, hat sie sofort einen Stift hervor gezaubert und Máiread, die in der Nähe herumstand, gerufen, und dann haben wir uns ein bisschen unterhalten und sie haben mir von Dresden vorgeschwärmt. Den Stift durfte ich auf der Suche nach Maighread und Triona mitnehmen, und weil ich sie nicht gleich gefunden habe, kam Máire mir hinterher geeilt, um mich zu ihnen zu führen.
Hinterher ist man also vollkommen am Ende vor Begeisterung. Und sehr, sehr glücklich.

Mood: Accomplished accomplished

Mittwoch, 24. November 2010

Farther North than I've Ever Been

Ich weiß. Ich habe versprochen, den Beitrag über die Maggies zu schreiben und ich arbeite daran. Wirklich.

Ich bin jetzt seit drei Tagen in Sligo. Sligo ist ein schöner Ort, die Stadt ist klein und niedlich und hübsch. Ich dachte, es wäre eine gute Idee, mir so eine "Guide yourself"-Broschüre zu besuchen, aber nach einer Viertelstunde habe ich bemerkt, dass ich mich selbst zu Tode langweile (oder die Texte in der Broschüre nicht wirklich spannend sind) und habe diesen Plan wieder verworfen. Inzwischen streife ich nur noch ziellos durch die Straßen und genieße es, absolut nichts tun zu müssen.
Allerdings war das nicht das, was ich ursprünglich vorhatte, als ich nach Sligo fahren wollte. Ich wollte eigentlich mehr von der angeblich so umwerfenden Landschaft sehen - aber hier merke ich zum ersten Mal so richtig, wie schlecht man dran ist, wenn man kein Auto besitzt. Es gibt keine Busse zu all den ach so unvergesslichen Stellen. Hm.

Es sieht also so aus, als wäre ich ein bisschen an die Stadt gebunden.
Mein Hostel liegt ca. 12 Minuten vom Zentrum entfernt in einem Industriegebiet. Es hat ein verwinkeltes Treppenhaus und ich bin darin fast allein - deswegen komme ich mir wie eine nicht sehr relevante Nebenperson in einem englischen Krimi vor, die "mysteriöse Lady aus dem ersten Stock."
"Sie konnten Schritte über ihren Kopf hören, die Lady musste ihre Räumlichkeiten verlassen haben."
"Die Küche lag still und verlassen im hereinfallenden Sonnenlicht. Nur die leere Teetasse zeugte davon, dass sie nicht allein in diesem Landhaus waren."
"Gerade, als sie den Salon betreten hatten, ging oben im ersten Stock eine Tür auf und energische Schritte kamen die Treppe hinab. Als sie einen Blick zurück warfen, konnten sie gerade noch einen schwarzen Mantel um die Ecke verschwinden sehen."

Hier ist übrigens auch die Auflösung für mein seltsames "slagt ham" im Beitrag über Dublin und Pläne und diesen Schauspieler mit der seltsamen Stimme, dessen Namen ich jetzt gerade ganz zufällig nicht weißt, hrm. "Slagt ham" ist Norwegisch und heißt, soweit ich weiß, "tötet ihn" oder "erschlagt ihn". Und nein, ich bin nicht übermäßig aggressiv gegenüber meinen Lesern - das ist ein versteckter Hinweis auf Henrik Ibsens Werk!
"Slagt ham" ist eine Textstelle in der originalen Version von 'In der Halle des Bergkönigs' (mit Chor und Worten!) von Edvard Grieg, was wiederum zu 'Peer Gynt' gehört, was wiederum von Henrik Ibsen geschrieben wurde, der wiederum 'John Gabriel Borkman' geschrieben hat. See? Alles ganz einfach.

Ich werde jetzt eine zweite Tasse Tee trinken.

Mood: Tea awake

Sonntag, 21. November 2010

The City that Never Sleeps

...is actually not New York, but Galway. Mein Hostel ist in strategisch günstiger Lage, dafür wird man Nacht für Nacht wach gehalten, weil es direkt über einem Pub liegt. In dem Nacht für Nacht Karaoke Night ist. Nur am frühen Morgen ist die Stadt wie ausgestorben, zumindest sonntags, also heute.
Ich muss zugeben, dass ich vom Freitag nicht viel mitbekommen habe. Ich bin in den Bus nach Galway gestiegen, der rund vier Stunden gebraucht hat, weil es keine Expressroute war - dafür konnte ich aber auch ein bisschen Schlaf nachholen. Am Abend war ich bei meinem zweiten Maggies-Konzert, über das ich später noch schreiben werde - und am Samstag... am Samstag war ich allgemein ziemlich übernächtigt. Ich habe allerdings einen Spaziergang gemacht und dabei die legendären Claddagh Swans getroffen:

Swans

Tatsächlich weiß man nicht wirklich, wo der Fluss aufhört und das Meer anfängt.

Sea

Und, weil ich in den letzten Tagen ständig Vögel fotografiere, hier dieses wunderbare Bild von Möven und Kälte:

Birds

Ja. Kälte. Es ist hier ziemlich kalt. Abgesehen davon ist Galway eine sehr aufregende Stadt, wenn sei denn endlich aufgewacht ist, und sie hat die besten Straßenmusiker, die ich je erlebt habe. Die Fotos davon habe ich aber noch auf meiner Kamera. Und ich bin gerade zu schläfrig, um meinen Rock zu schürzen und hoch in meine Gemächer zu eilen, um die erforderlichen Kabel zu holen. Dieses Bild von heute Morgen, als die Straßen noch ausgestorben waren, muss genügen:

Street Performer

Morgen fahre ich nach Sligo - das liegt noch weiter nördlich, aber ich freue mich darauf, weil es sehr schön sein soll. Und jetzt werde ich mir eine zweite Tasse Tee machen und endlich über die Maggies schreiben.
Cheers.

Mood: Sleepy drained-exhausted-groggy-tired-sleepy

Freitag, 19. November 2010

Everyone Called Him By His First Names

Mein zweiter Morgen in Dublin ist zugleich mein letzter vor meiner Abreise nach Galway. Ich habe Tee und Orangensaft (die große Liebe meines Lebens) im Café "The Bald Barista" getrunken und mindestens fünf Dubliner "the usual" bestellen hören, und jetzt werde ich endlich von gestern Abend erzählen.

John Gabriel Borkman
A Review

Leute, die nicht ins Theater gehen, sind mir ein Rätsel. Oder besser gesagt, Leute, die nicht ins Theater gehen, weil sie Kino und Fernsehen bevorzugen, sind mir ein Rätsel. Ein Theaterstück ist so viel mehr als nur Bewegung auf einer Bühne und viele Worte, da ist die Gegenwart lebendiger Menschen, die nicht einen Blick ins Publikum werfen und gleichzeitig keine Regung, kein Flüstern vor ihm verbergen können, der Hauch von Parfüm verändert sich, wenn die männlichen Schauspieler die Bühne betreten, man versucht beinahe instinktiv, einen Blick auf das Geschehen hinter die Kulissen zu erhaschen - und freut sich diebisch, wenn es einem gelingt. Ich liebe Theaterstücke.
Ich komme aus einer Stadt, in der man in Bezug auf Theater sehr verwöhnt wird. Und ich dachte, ich hätte in den letzten zwei Jahren (ein Stück pro Monat, jedenfalls ungefähr) jede Menge Erfahrung gesammelt und sei nicht mehr so leicht zu überraschen. Bis gestern Abend.

Abbey Theatre

Das Abbey Theatre (einst von W. B. Yeats gegründet) ist Irlands Nationaltheater und schon als ich den Theatersaal betrete, fühle ich mich angemessen verzaubert. Zu Hause ist das Bühnenbild meistens schwarz, wenn man Glück hat, steht irgendwo ein einsamer Stuhl. Die Bühne, die in der Abbey auf mich wartet, ist wie ein schöner, kalter Traum. Zwei Wände und eine Decke, zwecks Perspektive verzerrt, bilden eine Art Wohnzimmer mit alten Polsterstühlen, einem Ofen, einem Sofa, auf dessen Rückenlehne alte Schwarzweißfotografien in angelaufenen Rahmen stehen. Die Wände sind über und über mit weißen Flecken bedeckt und transparent, was aussieht, als wären Glasscheiben tagelang einem Schneesturm ausgesetzt gewesen. Zu beiden Seiten der Bühne, außerhalb des Zimmers, türmt sich Kunstschnee zu einer verwehten Landschaft auf. Die Bühne wartet in einem bläulichen Licht still vor sich hin.

Man nimmt Platz. Rechts und links von mir sitzen Menschen, denen das Thema des Stücks wohl noch näher geht als mir (immerhin geht es gerade darum, ob Irland Hilfen von der EU annehmen soll oder nicht), ich komme mir hingegen vor, als hätte ich gerade ein Überraschungspaket bekommen. Bisher dachte ich immer, es wäre klüger, sich vorher im Theaterführer kundig zu machen, worum es geht, aber jetzt weiß ich, dass es ohne Vorbereitung viel aufregender ist. "John Gabriel Borkman" entfaltet sich wie eine Eisblume, vollkommen und schön in seiner Kälte.
Es geht um einen Bankmanager, der einen Schritt von der vollkommenen Macht entfernt war und dann durch den Verrat eines engen Freundes alles verloren hat. Für ihn bedeutet das Gefängnis, für viele seiner Mitarbeiter und seine Familie Bankrott. Nun, acht Jahre nach seiner Entlassung, lebt er im ersten Stock seines Hauses und setzt nie einen Fuß nach draußen, während seine Frau im Erdgeschoss bleibt. Sie sehen sich nie. Sie sprechen nicht einmal den Namen des anderen aus. Das klingt bizarr. Und es ist herzzerreißend mitanzusehen.

Das Stück beginnt damit, dass Mrs Gunhild Borkman in ihrem Salon sitzt und den Schritten über ihrem Kopf lauscht. Dort wandert der, über den sie nicht spricht, aber den sie nicht vergessen kann, wie ein Wolf in seinem Käfig auf und ab. Sie wartet auf ihren Sohn, Erhart, in dem sie ihre Chance zu neuem Reichtum und Rache an John Gabriel sieht. Wer kommt, ist allerdings nicht Erhart, sondern ihre Zwillingsschwester Ella, die sie vor acht Jahren das letzte Mal gesehen hat.
Ella ist gekommen, um Erhart, um den sie sich nach John Gabriel Borkmans Gefangennahme lange Zeit gekümmert hat, zu sich zurück zu holen. Gleichzeitig ist sie die Frau, die Borkman vor seiner Laufbahn als Bankmanager wirklich geliebt hat - und deren Liebe er betrogen hat, indem er aus Karrieregründen ihre Schwester geheiratet hat.

Fiona Shaw

Das alles wird auf der Bühne des Abbey Theatres mit viel Sorgfalt und, überraschenderweise, viel schwarzem Humor umgesetzt. Ja, es ist lustig, wenn der alte, verbitterte John Gabriel mit frauenfeindlichen Sprüchen um sich wirft und wenn Mrs Wilton sich in aller Öffentlichkeit über ihre Beziehung zu dem sehr viel jüngeren Erhart auslässt. Es ist lustig, wie diese zwei Schwestern sich gegenseitig bekritteln und auf keinen Fall die eigenen Schwächen eingestehen wollen.
Aber es ist auch traurig und schmerzhaft und die Charaktere bleiben glaubwürdig und ernst. Fiona Shaw spielt Mrs Gunhild Borkman und ist so verbittert und verzweifelt und verstockt, dass man nicht anders kann, als mit ihr zu fühlen. Sie hat während der ersten Szene ständig Tränen in den Augen. Wann immer Erhart die Bühne betritt, leuchten ihre Augen hoffnungsvoll auf, aber gleichzeitig ist da auch irgendetwas falsch an ihrer intensiven Beziehung zu ihrem Sohn.
Lindsay Duncan ist Gunhilds Schwester Ella Rentheim und wirkt auf den ersten Blick vernünftiger und realistischer. Sie will, dass Erhart ihren Nachnamen annimmt, wenn sie gestorben ist, denn sie ist die Letzte ihrer Familie und todkrank. Aber dann kommt ihre erste Konfrontation mit John Gabriel, in der man alles über ihre frühere Beziehung erfährt, und plötzlich bekommt die vernünftige Fassade Risse. "You killed love within me", schreit sie ihn an. Trotzdem hat man nicht das Gefühl, dass sie ein unschuldiges Opfer ist.

John Gabriel & Frida

Und dann ist da der Mann selbst. Alan Rickman spielt John Gabriel Borkman so ernst und hart und schwach, dass man in ihm einfach nicht nur die böse, korrupte Person sehen kann, für die ihn die Öffentlichkeit hält. Ja, er ist uneinsichtig, ja, er hofft darauf, ein zweites Mal ganz nach oben zu kommen und diesmal nicht die Kontrolle zu verlieren, aber dann sieht man ihn, der jahrelang erst im Gefängnis und dann im eigenen Haus gesessen hat, wie er beinahe klaustrophobisch nicht mehr ins Haus zurückkehren will, als er es einmal verlassen hat.
Dabei wartet dort draußen nichts Gutes auf ihn. Denn zum Schluss kommt heraus, dass weder die Schwestern, noch John Gabriel, der auf einen zweiten Frühling hofft, ihren Traum erreichen werden. Das Objekt ihrer Träume, der (beinahe) gemeinsame Sohn Erhart, hat nicht vor, sein Leben einem von ihnen zu opfern, lieber geht er mit seiner Geliebten in den Süden. Dass er damit das Herz seiner Mutter bricht, muss er hinnehmen. "Don't touch me!", schreit sie, beinahe panisch, als er sie zum Abschied umarmen will.
Erhart lässt seinen Vater und die beiden Frauen im norwegischen Schneetreiben zurück. Also geht John Gabriel allein los, um noch einmal die Schiffe, die Minen und die Wälder zu sehen, die ihm hätten gehören sollen. Ella folgt ihm.

Und dann steht dieser Mann dort und blickt zum ersten Mal seit Beginn des Stückes zum Publikum. Er ist so verloren in seinem Traum, dass man die Schiffe, Minen und Wälder beinahe in seinen Augen sehen kann. Das ganze Stück lang hat Alan Rickman die ganze Breite seiner wunderbaren, unheimlichen Stimme genutzt und gespottet, gemahnt, gegrollt und gedonnert, aber nun flüstert er, und das ist genauso einschmeichelnd wie furchteinflößend:
"I love you. I love, love, love..."
Dann ist alles zu viel für ihn. Ella steht neben ihm und unternimmt nur einmal den nicht ganz ernst gemeinten Versuch, Hilfe zu holen, während John Gabriel vor ihr im Schneetreiben stirbt, grauenvoller und realistischer, als ich es je auf einer Bühne gesehen habe. "It's better this way", sagt sie ruhig, nachdem sie nach seinem Puls gefühlt und keinen gefunden hast.
Und dann ist da Gunhild, die sich doch noch auf die Suche nach den beiden gemacht hat. Über dem Toten, den wir in der ersten Reihe doch noch Atmen sehen können, schütteln beide Schwestern einander die Hände und dann gehen die Lichter aus.

Alan Rickman

Die Dubliner sind mit ihrem Applaus recht sparsam. Immerhin schließt sich das Überraschungspaket damit, dass die erschöpften und nun endlich lächelnden Schauspieler sich verbeugen und ihrem Publikum zum ersten Mal an diesem Abend in die Augen sehen. Eine sichtlich erleichterte Fiona Shaw erwidert mein Lächeln - ich bin auch kaum zu übersehen, in der Mitte der ersten Reihe, zwischen lauter dunkel gekleideten Männern Mitte vierzig. Der Darsteller des Titelhelden strahlt nicht, aber das hat auch keiner erwartet. Auch er wirft mir einen Blick zu. Alan Rickman schaut Menschen nicht an, es ist mehr ein seitlicher Blick aus den Augenwinkeln, und dazu ein sehr dünnes Lächeln, das fast kein Lächeln ist.
Aber es genügt.

Wir verlassen das Abbey Theatre. Und ich bin mir sicher, dass dies gerade das beste Stück war, das ich je in meinem Leben gesehen habe. Und wenn ein Journaleintrag mehr Herzblut enthalten kann, dann bin ich eine schlechtere Schriftstellerin, als ich bisher angenommen hatte.

Mood: Thankful hopeful-optimistic-thankful-touched

Donnerstag, 18. November 2010

Feed the Birds, Tuppence a Bag

Mein Hostel hat noch mehr Humor, weiter unten im Kleingedruckten.

Leprechauns

Und draußen vor meinem altmodischen Fenster sieht es wie eine Filmkulisse aus, weil dort, mitten im Häuserblock eine Kirche steht. Mit einem großen, lateinischen Schriftzug an der Seite. Das Frühstück war zwar nicht überragend, aber gemütlich, und gegen Mittag bin ich mit meinem Lunch zu St Stephen's Green gegangen (das ist ein Park, für alle die, die nie Maeve Binchy gelesen haben), der hier nur um die Ecke ist.
Dort habe ich etwas Wunderbares entdeckt.

Feeding Birds

Wenn ihr jemals nach Dublin kommt, geht zu St. Stephen's Green und füttert die Vögel! Nicht nur, dass es dort massenweise dankbare Tauben, Enten, Möven, zwei Schwäne und einen Reiher gibt, ihr werdet nicht die einzigen sein. Ich habe heute Businessmenschen, Eltern mit Kindern, Erwachsene ohne Kinder und alte Männer Vögel füttern sehen. Ja, ich weiß, diese grauen Tauben sind praktisch wie Ratten und wenn man sie auch noch füttert, werden es mehr und mehr, aber, hey, wir essen schließlich auch viel zu viel und finden trotzdem, dass wir es verdienen, ab und zu in ein Restaurant zu gehen. Also seid nicht kleinlich und macht eine Ausnahme. Feed the birds!

Tauben

Abgesehen davon mag ich Tauben. Mein Vater musste sich früher, als ich noch keine eigene Kamera hatte, mit den vielen (oft verwackelten) Taubenbildern auf seiner Speicherkarte herumschlagen.

Ich bin aufgeregt. Noch ein paar Stunden, dann sitze ich im Abbey Theatre. Ganz vorn. Mit großen Augen.

Mood: Excited ecstatic-excited-high-horny

Mittwoch, 17. November 2010

So This Is the Plan

Ich bin gerade mit der vielen Post beschäftigt, die man bekommt, wenn man ein paar Tage lang kein Internet hat (wenn man Internet hat, pflegt die Post sich in Grenzen zu halten) - ich war noch einmal eine Woche lang in Tipperary und bin jetzt wieder on the road, und das Journal soll sich nicht mehr einsam fühlen. Das hier habe ich mir für die nächsten Wochen vorgenommen:

1. Ich bin gerade in Dublin angekommen und hatte gerade mal Zeit dazu, mein Hostelzimmer zu beziehen und die humorvollen Hinweisschilder zu bemerken.

Interplanetary

Ich bin in Dublin, weil hier John Gabriel Borkman im Abbey Theatre gespielt wird. Kennt ihr nicht? Es ist ein Stück von Ibsen. Kennt ihr nicht? ...slagt ham.
Nein, ich komme nicht nach Dublin, um in irgendein Theaterstück zu gehen. Ich komme nach Dublin, um dort in ein Theaterstück zu gehen, wenn Alan Rickman die Hauptrolle spielt. Ihr kennt Alan Rickman nicht? ...slagt ham!

Rickman

Das ist er und ja, der gleiche Mann spielt Snape.
Das ist das Programm für morgen Abend. Außerdem will ich Fish&Chips bei Burdogk's essen und durch St. Stephen's Green spazieren.

2. Am Freitag fahre ich nach Galway.
3. Am Montag fahre ich nach Sligo.
4. Am 26. November fahre ich zurück nach Macroom und arbeite noch einmal für knappe zwei Wochen bei meiner allerersten Host-Familie.
5. Am 8. Dezember fahre ich wieder nach Dublin und bleibe für eine Woche für die ganzen Touristenangelegenheiten.
6. Am 15. Dezember fliege ich nach Hause. Und dann hat das Journal Weihnachtsferien.

Es ist schön, wieder gut organisiert zu sein! Ansonsten ist nicht wirklich viel passiert, außer dass die Familie in Tipperary mich jetzt praktisch adoptiert hat. Ich habe zum Abschied gesagt, dass ich hoffe, sie nicht wiederzusehen, ehe sie sich gründlich von mir erholt haben. Das hatte keinen wirklichen Effekt, sie haben trotzdem gefragt, ob ich vor Weihnachten wiederkomme.
In der Woche habe ich hauptsächlich drinnen neben dem Feuer auf einem Sofa gesessen, während draußen das Novemberwetter gewütet hat. An einem Tag waren wir in Cashel (aber nicht beim Rock). Die irische Regierung wird immer mehr zu einer Ansammlung bunter Witzfiguren. Mein Lieblingsautor ist fünfzig geworden und hat eine Braut-Puppe geheiratet, hier ist das Hochzeits-Fotoalbum, das ihr euch wirklich anschauen solltet, denn es ist wunderschön.

Heute auf dem Weg nach Dublin hatte ich eine zweistündige Pause in der Limerick University und habe dort in der Bibliothek die "Zeit" von letzter Woche gelesen. Ich hatte so viel Spaß dabei, dass ich mir jetzt ernsthafte Gedanken über meinen seelischen Zustand mache. Cheers.

PS.: Der Beitrag über Waterford ist jetzt online. Der über T With the Maggies muss noch ein bisschen warten. Aus aktuellem Anlass. Aber das wird noch nicht verraten, hihi.

Mood: Silly crazy-silly-weird

Mittwoch, 10. November 2010

The Great Escape

Ich hoffe, ich muss nie wieder mit so einer Person arbeiten. Nie, nie wieder. Als ich am Montag versucht habe, mit ihm zu reden, hat er mir nicht einmal richtig zugehoert und mir stattdessen Luegengeschichten aufgetischt, die Muenchhausen stolz machen wuerden. Angeblich sei ich die erste, die sich deswegen beschwere - tja, leider weiss ich aber, dass auch die franzoesische und eine niederlaendische WWOOFerin vor mir bereits deswegen mit ihm gesprochen haben. Und er hat immer wieder gesagt, wie geschockt und enttaeuscht von mir und wie traurig er sei, um mir ein ordentlich schlechtes Gewissen zu machen.
Das hat auch funktioniert. Ich habe einen sehr langen Spaziergang gebraucht, um mich wieder zu sammeln. Dabei ist doch wohl nicht er der Leidtragende in der ganzen Geschichte!
Dann habe ich gepackt und gestern dieses Haus verlassen. Selbst an der Tuer hat mein Host noch versucht, mich zu kraenken und alles, was ich gesagt habe, zu verdrehen. Also habe ich sein Angebot, mich zur Bushaltestelle zu fahren, ausgeschlagen und bin gelaufen. Und jetzt muss ich ihn hoffentlich nie mehr wiedersehen.

Die Freiheit ist schoen. Ich bin wieder in Tipperary. Es geht mir schon wieder besser, aber leider ist meine Lust auf WWOOFing noch nicht so richtig zurueckgekehrt. Und dabei muss ich dringend neue Plaene fuer die naechsten Wochen machen... je laenger ich ueber die ganze Sache nachdenke, desto mehr Wut bekomme ich auf diesen ignoranten Kerl.

Mood: Irate enraged-infuriated-irate

Montag, 8. November 2010

Sorry, Caravan

Das hier ist eine offizielle Entschuldigung. Bei dem Caravan in County Wexford, über den ich mich so hinterhältig lustig gemacht habe. Lieber Caravan, zurzeit denke ich mit leiser, sehnsuchtsvoller Wehmut an dich zurück, denn mein neuer Host hat mir definitiv bewiesen, dass es viel schrecklicher geht.

Als ich am Montag, dem 1.November hier angekommen bin, dachte ich noch, es wäre vielleicht auszuhalten, vor allem wollte ich aber erstmal freundlich sein und schauen, wie es sich entwickelt. Nach einer Woche hat es sich immer noch nicht besonders entwickelt, deswegen fühle ich mich jetzt voll und ganz berechtigt, hier darüber zu schreiben.
Also.
Ich arbeite jetzt auf einer Kräuterfarm, wo ein gewisser Mann, der auch Deutscher ist, Salate und Spinat und Kräuterkosmetik produziert. Klingt spannend? Nun, kauft euch einfach das eine Buch, das er verwendet, dann könnt ihr das alles selbst machen. Ich kann euch Titel und Autor sagen, wenn ihr möchtet. Außerdem erklärt er einem kaum etwas, man soll nur möglichst die ganze Zeit arbeiten, und das möglichst schnell, aber bitte ohne Fehler, immerhin verdient er damit Geld.
Wir arbeiten täglich rund sieben Stunden, außer freitags, da arbeiten wir mehr als neun. In der Theorie bedeutet WWOOFing "einen halben Tag arbeiten, den ganzen Tag Verpflegung", nur mal so. Aber das ist noch nicht das Schlimmste.

Das Schlimmste ist, dass ich mir hier ein Zimmer, das mehr wie ein großzügiger Pappkarton ist, mit einer Fremden teilen muss. Ich sehe diese Person 24h am Tag. Privatsphäre? Mein Host meinte darauf nur: "Wer braucht das schon. Wir haben hier keine Geheimnisse!"
Which rather misses the point.
Es gibt keine Betten, dafür schlafen wir auf Matratzen auf dem Fußboden. Ein Grund, weshalb ich diesen Beitrag so früh am Morgen schreibe, ist, dass ich vor Rückenschmerzen nicht mehr schlafen konnte. Stellt euch vor, wie das ist, wenn man den ganzen Tag lang gebückt (und unter Stress) Spinat oder Salat geerntet hat...

Das Resultat ist, dass ich zurzeit seelisch und körperlich einfach nur am Ende bin. Ich möchte hier weg. Heute oder morgen werde ich mit meinem Host sprechen und ihm erklären, dass ich eher als geplant abfahren werde, damit er genug Zeit hat, einen Ersatz zu finden. Ich hatte eigentlich geplant, fünf Wochen lang hier zu bleiben - aber das kann ich einfach nicht.
Mehr gibt es bald.
Auch die Beiträge über Waterford, T with the Maggies und Halloween, die schon lange warten.

Mood: Exanimate apathetic-exanimate-listless

Confusiël uses Pens

Irland, Tee und zum Sterben schöne Bilder.

Cunning Pens

Erfahrt mehr...
...über dieses Journal!

Music for the Scatterbrained


Soundtrack [Walt Disney]
Alice in Wonderland


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Under the Pink


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Zuletzt aktualisiert: 30. Mai, 22:24

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